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Autorenbildmanfredschumi

Österreichs private Medien im Würgegriff des ORF


Die heimischen Zeitungen stehen finanziell stark unter Druck. Das ORF-Budget wird hingegen großteils aus Steuermitteln bezahlt und ist damit eigentlich krisensicher.


Das Jahr 2024 wird zweifelsohne in die heimische Mediengeschichte eingehen. Denn noch nie standen die österreichischen Verlage und damit der (unabhängige) Journalismus unter so großem wirtschaftlichen Druck. Praktisch überall werden rote Zahlen geschrieben, Sparpakete geschnürt, Mitarbeiter abgebaut. Die Ursachen sind bekannt: Die Werbeeinnahmen schrumpfen. Einerseits weil immer mehr Umsatz zu den digitalen Riesen wie Amazon, Google, Facebook & Co. abwandert, die zuletzt schon mehr als 25% des Werbemarktes an sich gerissen haben, Tendenz steigend.


Andererseits geht die Zahl der Abonnenten und Käufer von Printprodukten unaufhaltsam zurück. Jüngere Generationen lesen kaum gedruckte Zeitungen. Der Versuch, das mit Online-Abos wettzumachen, ist ein wirtschaftlicher Spießrutenlauf:

  1. Denn nach wie vor ist in Österreich digitale Information weitgehend gratis. Das gilt nicht nur für das ORF-Angebot, sondern auch für viele Verlage (Oe24, Heute, Standard, der Großteil von krone.at).

  2. Gelingt es mit Paid-Content-Inhalten zahlende Digital-Abonnenten zu gewinnen, so geben die in der Regel im Monat zwischen 5,90 Euro und 9,90 Euro aus. Mit anderen Worten: Für jedes Print-Abo, das man verliert (kostet zwischen 30 und 40 € monatlich), müsste man fünf bis sechs Digital-Abos abschließen, um keinen Umsatz zu verlieren. Das ist natürlich illusorisch.

  3. Bei sinkenden Auflagen kommen die Inseratenpreise unter Druck. Einige Marktteilnehmer versuchen schon seit längerer Zeit, durch Rabatte mehr Umsatz zu generieren. Doch auf lange Sicht schaden sie damit nicht nur sich selber, sondern der gesamten Branche.


Kommen wir nun zum ORF und warum er die private Medien im Würgegriff hat. Es geht jetzt hier nicht darum, ob man öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht oder wie es die Redakteure schaffen, trotz des politischen Einflusses ordentlichen Journalismus zu machen. Es geht um den einzigartigen Wettbewerbsvorteil gegenüber privaten Anbietern, egal ob Zeitungsverlage oder TV-Sender: 70% des ORF-Budgets kommen via Haushaltsabgabe vom Steuerzahler, das sind pro Jahr 700 Millionen Euro. Da kann man Rückgänge bei den Werbeeinnahmen schon mal leichter verkraften. Zwar ist auch am Küniglberg vom Sparen die Rede, das spürt aber nur das einfache "Fußvolk". Die Topgagen bleiben unberührt. Und solange man sich neun Landesstudios leisten kann, deren Chefs über 200.000 Euro im Jahr verdienen, kann der Leidensdruck noch nicht so groß sein. Auch dass bei einer Veranstaltung drei ORF-Teams (Landesstudio, die ZiB und ein Magazin) zugleich vor Ort sind (das habe ich als Journalist oft genug live erlebt!), wurde noch nicht abgestellt.


Warum ist das relevant für die gesamte Medienlandschaft? Früher waren die Reviere einfach abgegrenzt: Die Zeitungen verkauften gedruckte Produkte und den ORF gab es in Bild und Ton, ein mehr oder weniger friedliches Nebeneinander. Das hat sich im Internet-Zeitalter radikal geändert. Online treffen sich alle Marktteilnehmer und sind dort direkte Konkurrenten. Die "User" wollen aber nicht nur Texte lesen. Auch Bilder, Grafiken und Videos spielen eine Rolle. Also begannen die Verlage ebenfalls Bewegtbilder zu produzieren. Der Staatsfunk ist dafür über die sogenannten "blauen Seiten" (orf.at) mit Print-Inhalten präsent. Der große Unterschied: Der jetzt über eine Haushaltsabgabe finanzierte ORF kann alle seine Formate gratis anbieten, die Verlage brauchen Inserate und eine Pay-wall zur Finanzierung.


Online ist der ORF durch die "Reform" noch attraktiver geworden


Daher ist es kein Wunder, dass orf.at mit einer Reichweite von 73,8 Prozent (!) und über fünf Millionen "Unique Usern" (siehe ÖWA) den Markt dominiert. Die Krone kommt auf 52,7%, bietet aber auch fast 90% der Inhalte kostenlos an, um bei den "Klicks" mit den anderen Gratisanbietern mithalten zu können. Knapp dahinter folgen Standard, Heute und der Kurier.


Die Argumentation der privaten Verlage, dass orf.at zu "zeitungsähnlich" sei, hat etwas für sich. Solange online kostenlos ist und man fast in Echtzeit Zugang zu allen aktuellen Meldungen erhält, wird sich der Andrang zu bezahlten Inhalten von Zeitungen in engen Grenzen halten. Daher fehlen ihnen Möglichkeiten zu neuen Einnahmequellen und der eingangs erwähnte Kostendruck wird immer größer.


Bei der ORF-Reform im Vorjahr sollte der Internet-Auftritt des Staatsfunks beschränkt werden. In Deutschland z. B. bieten ARD und ZDF nur eine sehr abgespeckte Nachrichten-Version im Internet an, die nicht reicht, um stets voll informiert zu sein. Doch das, was jetzt in Österreich herausgekommen ist, macht die Sache noch schlimmer. Die Zeitungsherausgeber haben sich in den Verhandlungen mit der Politik offenbar über den Tisch ziehen lassen bzw. das Ergebnis nicht durchschaut.


Anstatt die Textlänge auf den "blauen Seiten", die immer öfter lange Analysen zu allem möglichen Themen bringen, zu beschränken, wurde offiziell die Zahl der Meldungen pro Woche auf 350 beschränkt. Das wird umgangen, indem Unter-Seiten z. B. der Bundesländer nicht mitgezählt werden. Zusätzlich durfte der ORF sein Video-Angebot im Internet vervielfachen. Unterm Strich wurde orf.at dadurch noch attraktiver und der Anreiz, sich ein Online-Abo bei einer Tageszeitung zu kaufen, geringer.


Mehr finanzielle Förderung oder Marktbereinigung?


Das hat fatale Folgen für den unabhängigen Journalismus: Die Verlage müssen noch mehr sparen. Sie reduzieren die Belegschaft, nützen immer mehr Agenturmeldungen oder sogar Künstliche Intelligenz, um Inhalte zu produzieren. Dadurch werden sich alle Zeitungen immer ähnlicher. Wer kein Personal mehr hat, um eigenständige und exklusive Beiträge zu produzieren oder wer kein Geld mehr hat um sich gute Journalisten zu leisten steht auf verlorenem Posten. Das geht auf Kosten der Medienvielfalt und ist demokratiegefährdend. Fake-News auf diversen Social-Media-Plattformen, von Parteien gelenkte Websites oder Fernsehsender, fader Einheitsbrei in den wenigen Medien, die den finanziellen Kahlschlag überlebt haben. Wollen wir das?


Der Aufschrei in der Öffentlichkeit und in der Politik wird kommen, wenn die ersten prominenten Verlage aus wirtschaftlichen Gründen vom Markt zu verschwinden drohen. Es wird dann heißen "Wir müssen die Medienvielfalt retten". Eine "österreichische" Lösung muss her. Wie? Ganz einfach: Die Förderung aus öffentlichen Mitteln für die privaten Verlage kann man drastisch erhöhen, z. B. mit den Einnahmen aus der Digitalsteuer, die Amazon, Google & Co, ab heuer zahlen müssen. 103 Millionen Euro waren es 2023, davon gehen bis jetzt nur 20 Mio. € an die Zeitungen. Eine Aufstockung brächte zwar finanzielle Erleichterungen für die Branche. Doch es erhöht in gewissem Sinn ihre Abhängigkeit von der Politik, darüber muss man sich im Klaren sein.


Die Alternative wäre, dass man eine radikale Marktbereinigung zulässt, der wahrscheinlich gut die Hälfte der heimischen Verlage zum Opfer fallen würde. Man kann argumentieren, dass die Medienbranche lange genug Zeit gehabt hätte, sich auf die Veränderungen durch die Digitalisierung einzustellen. Und wer zu spät reagiert, den bestraft bekanntlich das Leben, kann man das bekannte Zitat abwandeln.





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